Es ist Juli. Ein plätschernd langsamer Sonntag am See – Blick auf bedächtig, wie auf Schnüren vorbeiziehende Segel auf türkisblauem Grund. Bewacht von schroffen Felsen und sanften grünen Hügeln liegt vor mir der Attersee. Ich sitze am Balkon im Juche eines altehrwürdigen Gasthofes und blicke zwischen den hölzernen Streben des Geländers durch. Sehe im Gastgarten zwei kleine Mädchen und einen Buben – Cousin und Cousinen vielleicht – miteinander sich die Zeit vertun. Die Eltern und Großeltern hängen in sinnstiftende Gesprächen vertieft über ihren Nachspeisen und sind, wie die Kinder auch, versunken in ihrer Welt. Eines der Mädchen fasst den Buben von hinten um den Hals, sanft aber bestimmt, und nimmt mit einem Satz auf seinem Rücken Platz. Er umfasst rasch ihr Hinterteil und läuft so mit ihr eine Rund um den Tisch. Kinderliebe, so selbstverständlich schön und unbeschwert.
Meine Gedanken gehen auf die Reise. Finden sich wieder in der Speisekammer meiner Urgroßeltern. Damals war ich vielleicht drei oder vier Jahre alt. Mein ebenso alter Großcousin Jürgi und ich waren nach einer Erkundungstour durch die Wohnung von O-Mutti und O-Papa hier gelandet. Die Erwachsenen saßen in heftige Diskussionen vertieft um den Jogl-Tisch im der Wohnküche und wir beide konnte daher ganz für uns sein. Und wir hatten auch sehr viel zu besprechen. Was, das kann ich heute nicht mehr sagen. Andere Zeit. Andere Welt. Doch das Wohlgefühl und die Zweisamkeit ist für mich heute noch spürbar und unverrückbar. So hat das Band dieser Gefühle über die Jahre und Jahrzehnte gehalten und ist immer wieder dann, wenn wir gegenseitig Kontakt aufnehmen wiedererlebbar. Denn mein Cousin und ich sind nicht nebeneinander aufgewachsen, sondern lebten immer sehr weit voneinander entfernt. Meist trennten uns Kontinente, doch unsere Kinderliebe vereinte uns in Gedanken. Wir haben unser ganzes Leben in Summe gesehen vielleicht wann es gut geht ein oder zwei Tage miteinander verbracht – und doch sind wir uns unendlich nah.
So sind wir zum Beispiel vor etwa drei Jahren einmal einen ganzen Abend und die halbe Nacht nebeneinandergesessen und haben uns unser Leben erzählt. Die Höhepunkte und die Abgründe. Und haben gespürt, wie nahe wir uns nach wie vor sind. Ohne uns tatsächlich zu berühren, waren wir voneinander berührt und miteinander vereint.
Wir teilen nach wie vor, was uns bewegt und so war ich heute Nacht, kurz nach vier, glücklich wieder einmal ein Lebenszeichen von ihm zu bekommen: Ein paar Fotos von einer Reise mit seiner Familie und Glückwünsche zu meinem neuen Leben mit meinem neuen Mann. Alte und neue Liebe. Die Kinderliebe ist erwachsen und alt geworden. Sie wärmt uns, wie ein Mantel vertrauter Gemeinsamkeit. So schön, dass es sie gibt.